07.02.2012

Wenn Gewalt (k)ein Gesicht hat

Ich war wohl zu optimistisch. Als die ersten Regierungstruppen am Samstag 4.2. in Salvador einlangten, dachte ich, dass sich die Streikenden PM's zurück ziehen würden. Dass es der Regierung ein Leichtes sein würde, mit Drohgebärden den aufständischen Polizisten Respekt ein zu jagen.
Immerhin ist Brasilien die 6. wichtigste Volkswirtschaft der Welt, und die Präsidentin, Dilma Roussef, eine entschlossene Frau, bereit, die Demokratie mit allen Mitteln zu verteidigen.


Doch der Sonntag brachte keine Verbesserung der Lage. Die zu Hilfe gerufenen Regierungssoldaten patrouillieren an den Stränden, in den besseren Vierteln der Stadt, wo ein paar Touristen und Unerschrockene Alltag spielen. Sonst ist es absolut "ruhig". Niemand weiss, wer wo kommandiert. Seit beginn des Streiks wurden 235 Autos gestohlen. Offiziell sind es am Sonntag bereits 85 Tote.
In der Nacht fordert Parlamentspräsident Nilo die Räumung des durch die streikenden besetzten Regierungsgebäudes. Die Militärs umzingeln das Verwaltungszentrum der Stadt, die Presse wird weggeschickt. In der Nacht kommt es zu kleineren Auseinandersetzungen, Kinder verlassen das besetzte Gebäude.
In den Vierteln der Peripherie kocht es. Schwer bewaffnete Männer überfallen Bars, kleine Geschäfte; Supermärkte und Elektrogeschäfte werden geplündert. Eine besondere Streife räumt mit den Leuten an den Autobusstationen auf - "Handy, Geld her... das ist ein Überfall" schon rollt der Wagen mit den bewaffneten Männern weiter, zur nächsten Haltestelle.
Nur wer muss, geht auf die Straße. Obwohl es dort, wo Plantagenbesitzer und Axé-Stars ihre Luxusappartments haben, wesentlich entspannter zugeht. Die Geschäfte sind offen, Militärs stehen vor den Gebäuden, ein paar Jogger sind unterwegs. Im Delikatessenmarkt läuft eine Frau hysterisch telefonierend auf und ab. Verzweifelt versucht sie, ihr Handy während des Gesprächs zu verstecken… bis ihr jemand sagt: " alles gut, hier werden sie nicht überfallen, wir sind in Graça"


Mit Einbruch der Dunkelheit flüchten die Menschen von den Straßen. Alle sperren sich ein. Ab 18.00 fahren keine Busse mehr. Die Verkehrspolizei stellt ihre Streifenfahrten ein.
In der Nacht auf Montag kommt es zu Greueltaten. Während wir uns im Twitter und Facebook treffen, heiß über Legitimät oder Illegitimität des Streiks diskutieren, ziehen Todesschwadronen durch die Stadt, erschiessen wehrlose Obdachlose, Leute werden - wahllos - niedergemetztelt. In Engomadeira / Cabula, einem Viertel der schwarzen Mittelschicht, überfallen 4 Bewaffnete eine Bar, fordern alle 5 anwesenden Männer auf, sich an die Wand zu stellen - und erschiessen sie.


Exekution. Das ist Krieg. 10 Tage vor Karnvalsbeginn.
Die Bevölkerung hat genug von dem Terrorzustand im Bundesland. In Süd Bahia wird die MP bei ihren Sympathie-Anwerbeversuchen nicht mehr freundlich empfangen, selbst die Kokosnussverkäufer beschimpfen sie. Niemand hat Verständnis für eine Klasse, deren Gehälter seit 2006 verdoppelt wurden - ein einfacher Militär Polizist verdient 2.500.- Reais; genauso viel wie ein Arzt am Gesundheitsposten, doppelt so viel wie eine LehrerIn… Abgesehen von den sonstigen Vergünstigungen wie 14. Gehalt, die sie im Laufe der Jahre erworben haben.
Der Zeitpunkt des Streiks lässt die Wirtschaft von Salvador zusammenbrechen. Der Tourismus - eine der wichtigsten Branchen - verzeichnet brisante Rückgänge: Nächtigungsstornierungen, ganze Kreuzfahrten werden abgesagt… Das größte Straßenfest der Welt droht zum Megaflopp zu werden!
Aber nicht nur die Hotelbetreiber klagen, die gesamte Kultur liegt brach - die meisten Konzerte sind abgesagt, die Pre-Karnevals Veranstaltungen finden nicht statt. No fun in Salvador!
All die prekären StraßenverkäuferInnen sind in ihrer Existenz bedroht - der Sommer, Karneval, das ist die Zeit des Jahres, wo sie Geld für die nächsten Monate verdienen. Nicht nur, dass der Bürgermeister João Enrique ihnen bereits vor 2 Wochen mit einem Verkaufsverbot gedroht hatte, jetzt ist es durch den Terror in der Stadt so weit: keine StraßenhändlerInnen weit und breit auf Salvadors Straßen!
Auch der Montag bringt keine Besserung der Lage - "ein falscher Sonntag" geistert es durch den Twitter, die Stadt ist extrem ruhig.Die Zahl der Toten ist auf über 100 gestiegen, die Streikenden weigern sich, das Parlament zu räumen und drohen, dass der Streik sich nach Rio de Janeiro ausweiten wird. Andere regionale Polizeigewerkschaften solidarisieren sich mit den Streikenden und geben der Regierung präventiv alle Schuld an einer eventuellen Gewaltlösung. Während die Regierung Dilma Roussef und Parteikollege Gouverneur Wagner versuchen, den Konflikt ohne Gewalt zu beenden, macht die Militärpolizei weiteren Druck. Sie reagieren auf keinen Einschüchterunngsversuch, suchen die Eskalation.
Am Montag abend werden die Geschäftsleute des Viertels PeriPeri schriftlich bedroht, ihre Geschäfte am Dienstag nicht mehr auf zu machen.
Der Terror der PM's wird von der normalen Bevölkerung nicht mehr akzeptiert. Zögernd, aber immer bestimmter kommt ein Nein zum Terror. Ein Terror, den die Schwarzen, aber auch die anderen BewohnerInnen der Armenviertel und an der Peripherie, die Obdachlosen schon lange kennen. Ein Terror, der institutionalisert ist - keine Polizeihilfe, wenn sie gebraucht und von der normalen Bevölkerung gerufen wird, sond willkürliche Blitzes gegen junge schwarze Männer - meist mit Toten und Verletzen verbunden! Dabei geht es angeblich meistens um Drogenhandel.
Nur zur Erinnerung: die PM war das "Ordnungsinstrument" des Antonio Carlos Magalhães, der Bahia mit brutalster Hand an die 40 Jahre regiert hatte.
Während im facebook und Twitter immer mehr Menschen ein sofortiges Ende des Streiks fordern, die Zeitungen von São Paolo bereits über den fehlenden Rückhalt in der Bevölkerung berichten, sind die Intellektuellen der Mittelschicht noch immer am diskutieren, ob es nicht einfach legitimes Streikrecht und die Polizisten zu unterstützen seien. Aber Ausflug in die Peripherie wollen sie keinen machen… und sicher keine Demo!

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